Vom Zusammenspiel konträrer Täuschungen bei Investments

Scheinbar gegensätzliche Arten, zufällige Ereignisse verzerrt wahrzunehmen, folgen vermutlich einer inneren Logik. Solche verzerrte Wahrnehmungen können „Stimmungen“ oder „Momentum“ auf Aktienmärkten bewirken und Investoren verleiten, nutzlose Information nachzufragen.

Vom Zusammenspiel konträrer Täuschungen bei Investments
Scheinbar gegensätzliche Arten, zufällige Ereignisse verzerrt wahrzunehmen, folgen vermutlich einer inneren Logik. Solche verzerrte Wahrnehmungen können „Stimmungen“ oder „Momentum“ auf Aktienmärkten bewirken und Investoren verleiten, nutzlose Information nachzufragen.

In meinem vorletzten Blog war von der „Gambler’s fallacy“ die Rede. Dies ist der fälschliche Glaube, dass ein zufällig entstandener „Trend“ (zum Beispiel beim Werfen einer fairen Münze erscheint fünfmal hintereinander „Kopf“) rasch aufhören muss, weil die so entstehende Reihe sonst zu sehr von der langfristig erwarteten 50:50 Proportion abweicht. Im letzten Blog habe ich von der „Hot Hand fallacy“ (HHF) berichtet. Diese ist gewissermassen das Gegenteil der Gambler’s fallacy (GF), nämlich die irrationale Erwartung, dass rein zufällige Trends sich fortsetzen werden. Für beide Arten von Täuschung gab es intuitiv plausible Beispiele.

Was gilt denn nun? Hängen diese beiden Arten, Muster in zufälligen Ereignissen zu sehen, irgendwie zusammen? Heben diese sich etwa gegenseitig auf, wenn die einen dieser Täuschung, andere aber jener Täuschung aufsitzen?

Matthew Rabin und Vayanos (2010) haben eine in der Psychologie weit verbreitete Intuition in einem Modell formalisiert. Das Modell besagt, dass die zwei Arten von Täuschungen nicht einfach unabhängig voneinander koexistieren, sondern innerlich zusammenhängen. Es besagt, dass dieselben Leute, die der GF aufsitzen, im Laufe der Zeit, wenn die Beobachtungen ausreichend extrem werden, auch der anderen Täuschung HHF aufsitzen.

Die Logik lässt sich im Kontext von Investoren, die in Anlagefonds investieren, etwa wie folgt erklären: Angenommen, ein Investor glaubt, dass die Performance eines Anlagefonds vom Zufall und vom Können des Managers abhängt. Der Investor sitzt der GF auf und bildet sich daher ein, dass das Glück sich relativ rasch ausgleichen muss. Der Investor unterschätzt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Manager mit durchschnittlichem Können eine Serie guter Performances erzielt.

Das muss Können sein!

Wenn der Manager ein oder zweimal eine gute Performance hinlegt, erwartet der Investor beim nächsten Mal daher eine schlechte Performance. Wenn sich nun aber zufällig eine längere Serie von guten Performances einstellt (der Manager hatte eben Glück), überschätzt der Investor die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Manager überdurchschnittlich talentiert ist. Wenn er die relativ lange Serie an guten Performances sieht, denkt er sich: so viel Glück kann man gar nicht haben, das muss Können sein! Er wird daher zu sehr auf die Fortsetzung der Serie des Managers bauen und zu viel in diesen Fonds investieren. Mit anderen Worten: Weil der Investor der GF aufsitzt, entwickelt er – wenn die Serie genügend lang wird – die HHF.

Zentral bei diesem Argument ist die Unsicherheit des Investors über die Rolle des Könnens bzw. Zufalls bei der Bestimmung der Performance. Wenn der Investor felsenfest davon überzeugt ist, dass die Performance einzig durch Zufall getrieben ist, wird er weder GF noch HHF entwickeln. Wenn er aber glaubt, dass es Manager gibt, bei denen Können einen Rolle spielt, wird er nach einer Serie von hohen Performances glauben, dass das Können (und nicht das Glück) gerade bei diesem Manager ausschlaggebend ist.

Diese Logik kann auch die Entstehung von „Stimmungen“ auf Aktienmärkten erklären. Wiederum spielt die Unsicherheit über den wahren, zugrunde liegenden Zufallsprozess eine wichtige Rolle (die bekannte Theorie von Barberis, Shleifer und Vishny 1998 ist übrigens ähnlich konstruiert). Angenommen, die Erträge einer Firma sind tatsächlich zufällig, und aufeinanderfolgende Erträge sind voneinander unabhängig. Angenommen, die Investoren glauben, dass die Erträge einer Firma einem von zwei „Regimes“ folgen: im einen folgt auf ein gutes Ergebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit ein schlechtes („das Glück gleicht sich aus“), im anderen folgt auf ein gutes Ergebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit wiederum ein gutes („die Firma hat einen Lauf“).

Stimmungswechsel erzeugt Momentum

Im ersten Fall reagieren die Aktienpreise zu wenig auf überraschend gute Ergebnisse (wie in Loh und Warachka 2012), weil die Investoren einen Ausgleich des Glücks erwarten. Wenn sich aber eine Reihe überraschend guter Ergebnisse einstellt, reagieren die Aktienpreise zu stark auf die Nachricht, dass das laufende Quartal ein gutes Ergebnis gebracht hat. Der Grund ist, dass die Investoren die lange Reihe an überraschend guten Nachrichten als Anzeichen eines Regimewechsels deuten. Dieser Stimmungsumschwung kann (in der kurzen Frist) Momentum auf Aktienmärkten erzeugen.

Solche Theorien aufzustellen ist wertvoll, weil kurzfristiges Momentum auf Aktienmärkten eine empirische Regularität ist (es gibt übrigens einen ganzen Strauss von Theorien, welche die Entstehung von „Stimmungen“ oder „Hypes“ auf Aktienmärkten erklären können, siehe z.B. Baker and Wurgler 2007). Diese Theorien empirisch zu evaluieren ist aber aus vielen Gründen schwierig. „Stimmungen“ lassen sich kaum präzise messen aber auch die tatsächlichen Zufallsprozesse sind überraschend schwer zu ermitteln. Noch schwieriger ist es, mit Felddaten die Aussagekraft alternativer Theorien klar zu testen (zum Beispiel haben Rabin und Vayanos 2010 weitgehend ähnliche Voraussagen wie BSV, aber die dahinter stehenden psychologischen Mechanismen sind leicht verschieden).

Aber selbst wenn die psychologischen Mechanismen korrekt identifiziert werden können, ist noch nicht klar, dass diese sich zwingend in einer bestimmten Art auf einem (Finanz-)markt auswirken, weil kaum alle Investoren gleichzeitig den gleichen Täuschungen aufsitzen und es vielleicht clevere Investoren gibt, die die Täuschungen der anderen ausnützen. Es ist daher nicht von vorneherein klar, dass auf individueller Ebene verbreitete Täuschungen sich auch auf der Marktebene niederschlagen (zum Beispiel Fehr und Tyran 2005). Einige Investoren haben etwa passive Strategien und beobachten die Performances dementsprechend nicht in jedem Quartal, reagieren daher auch nicht auf überraschende Erträge.

Regelmässige Leser des Blogs werden sich vielleicht fragen, wie die „Gambler’s Gallacy“ beziehungsweise „Hot Hand Fallacy“ mit der Tendenz von Investoren, für offensichtlich wertlose Analystenmeinungen zu bezahlen, zusammenhängt. In der dazupassenden, vor einiger Zeit schon besprochenen Studie sollten die Versuchspersonen auf Kopf oder Zahl bei Würfen einer fairen Münze wetten (bei der die Chance tatsächlich 50:50 ist). Die Versuchspersonen hatten vorgängig verschlossene Briefumschläge mit Prognosen von „Experten“ erhalten, in denen der nächste Münzwurf „vorausgesagt“ wird. Die Prognosen der meisten Experten waren natürlich falsch, aber einige Versuchspersonen hatten zufälligerweise die richtige „Prognose“ erhalten. Wenn eine Versuchsperson nun eine Reihe richtiger Prognosen erhalten hatte, war sie bereit, für die nächste Prognose zu bezahlen, und zwar umso mehr, je öfter der „Experte“ richtig lag.

Verzerrte Wahrnehmungen

Dahinter steckt wiederum die GF: Die Versuchspersonen hielten es offenbar für sehr unwahrscheinlich, dass der „Experte“ richtig liegt. Wenn sie dann sehen, dass der „Experte“ doch richtig liegt, überschätzen sie die (offensichtlich inexistente) Kompetenz des Experten und sind bereit, für die Prognose zu bezahlen. Der Versuch wird hier auf die Spitze getrieben. Der Zufallsprozess ist transparent (die geworfenen Münzen stammen von den Versuchspersonen) und die „Kompetenz“ des Experten ist offensichtlich inexistent (die „Prognosen“ wurden vorgängig erstellt). Die Theorie sollte daher eigentlich nicht „funktionieren“ weil die unterstellten Voraussetzungen (Unsicherheit über den zugrunde liegenden Zufallsprozess) nicht gegeben sind. Ausserdem stellt sich das von der Theorie behauptete „Umschlagen“ der GF in HHF zu schnell, nämlich bereits nach einer einzigen korrekten Prognose, ein. Bei diesen Versuchspersonen spielen offenbar auch verzerrte Wahrnehmungen des Zufalls eine Rolle, die in der Theorie nicht abgebildet sind. Nun ja, es gibt hier genau eine Art, sich rational verhalten, es gibt aber oft viele Arten, „verrückt“ zu sein. Nicht alle dieser Arten sind verstanden beziehungsweise in konsistenten Modellen hinreichend formalisiert. Es gibt für Forscher noch viel zu tun.

Im nächsten Blog erkläre ich, wie man den inneren Zusammenhang zwischen den beiden hier diskutierten Arten, den Zufall verzerrt wahrzunehmen (GF versus HHF), mit kontrollierten Daten untersuchen kann und was man sonst noch aus dem Studium der Lottozahlen lernen kann.

Quellen:

  • Baker, M. and Wurgler, J. (2007): Investor Sentiment in the Stock Market. Journal of Economic Perspectives 21(2): 129–151.
  • Barberis, N. Shleifer, A. and Vishny, R. (1998): A Model of Investor Sentiment. Journal of Financial Economics 49: 307–343.
  • Fehr, E. und Tyran, J.-R. (2005): Individual Irrationality and Aggregate Outcomes.
  • Journal of Economic Perspectives 19(4): 43-66.
  •  Powdthavee, N. and Riyanto, Y.E. (2012): Why do people pay for useless advice? Implications of gambler’s and hot-hand fallacies in a false-expert setting. IZA DP no. 6557 (May 2012).
  • Rabin, M. and Vayanos, D. (2010): The Gambler’s and Hot-Hand Fallacies: Theory and Applications. Review of Economic Studies 77: 730–778.